Das Bioenergiedorf Jühnde: Biomasse – eine zukunftsfähige Alternative zu fossilen und atomaren Energieträgern

 

Peter Schmuck, Swantje Eigner-Thiel, Marianne Karpenstein-Machan, Volker Ruwisch, Benedikt Sauer, Walter Girschner, Folker Roland, Hans Ruppert, Konrad Scheffer[1]

 

Interdisziplinäres Zentrum für Nachhaltige Entwicklung der Universität Göttingen

 

In G. Altner, H. Leitschuh-Fecht, G. Michelsen, U. Simonis & E.U. von Weizsäcker (Hrsg.), Jahrbuch Ökologie 2007 (S. 104-112). München: C.H. Beck Verlag, 2006.

 

Klimawandel und die Alternative: Bioenergienutzung als Maßnahme zur Stabilisierung des Klimas

Die Mehrzahl der Wissenschaftler ist sich heute darin einig, dass wir Menschen seit gut 100 Jahren starken Einfluss auf das Weltklima nehmen. Wissenschaftler des UNO-Gremiums zum Klimawandel prognostizieren eine Erwärmung des Erdklimas um 1,8°C bis 5,8°C in diesem Jahrhundert (Watson, 2001).

Verursacht wird dieser Anstieg vor allem durch die Freisetzung von Treibhausgasen wie z.B Kohlendioxid, das bei der Verbrennung von Erdöl, Erdgas oder Kohle entsteht. Knapp 80 % dieses Gases wird von den Menschen in den Industrieländern freigesetzt, also nur von den wohlhabenden 20 % der Weltbevölkerung . Die Konsequenzen des Klimawandels aber zeigen sich bereits weltweit und werden sich in diesem Jahrhundert verstärken: Tatsachen wie das Abschmelzen von Gletschern und Eis an den Polen oder die Zunahme von Stürmen, Hitzewellen, Dürren und sintflutartigen Regenfällen kann man bereits heute beobachten.

Die Gefahren des Klimawandels bedrohen neben unseren natürlichen Lebensgrundlagen auch die Stabilität der internationalen Beziehungen. Denn wenn die Lebensgrundlage der Menschen in einigen Teilen der Welt durch Wasserknappheit, Überschwemmungen, Ackerflächenverlust und Ernterückgänge bedroht ist, steigt der Druck um die Verteilung der Ressourcen. Auch die absehbare Verknappung der wichtigen Rohstoffe Erdöl und Erdgas trägt dazu bei, dass die Gefahr von internationalen Konflikten und Kriegen zunimmt.

Die Wirtschaft der Industrieländer ist zur Zeit stark abhängig vom Erdöl, wie zum Beispiel der sprunghafte Preisanstieg von Benzin auf Grund des Hurrikans Katrina im Spätsommer 2005 zeigte. Zur Frage, wie lange noch ausreichend billiges Öl auf dem Weltmarkt zur Verfügung steht, gibt es zwei unterschiedliche Meinungen: Die eine, vertreten etwa von der Internationalen Energie Agentur (IEA), sagt trotz stark steigender Nachfrage einen geringen Ölpreis von nur 39 $ pro Fass im Jahr 2030 voraus. Die andere Prognose geht dahin, dass die Preise von Rohöl nochmals deutlich ansteigen werden, sobald die Hälfte dieses endlichen Rohstoffes verbraucht ist und in Ländern wie China und Indien die Industrialisierung und der Rohölbedarf zunimmt. Die zweite Vermutung erscheint deutlich wahrscheinlicher. Mehr als 80 % der noch vorhandenen Vorräte an Öl und Gas stammen aus politisch instabilen Regionen, von denen zunehmend die Weltwirtschaft abhängig wird.

Geologisch unbestreitbar ist, dass fossile Energieträger, die sich vor mehr als 100 Millionen Jahren gebildet haben, in der Menge begrenzt sind. In jedem Jahr wird momentan ungefähr soviel Öl und Gas verbraucht, wie sich in etwa einer Million Jahren gebildet hat. Bei heutiger Förderrate reichen die Öl-, Gas-, und Uranvorräte noch mehrere Jahrzehnte, maximal etwa 100 Jahre. Bei steigender Förderrate, wie wir sie in den vergangenen Jahrzehnten hatten, ist dieser Zeitraum deutlich kürzer. Damit ist absehbar, dass Energie aus alternativen, erneuerbaren Quellen sehr bald preisgünstiger sein wird als Energie aus Öl, Gas und Uran - und letztlich die einzige Alternative.

Wir Menschen stehen vor der Entscheidung: Entweder fahren wir fort, die verbleibenden Rohstoffe zu verbrauchen wie bisher, oder wir richten zunehmend unser Handeln an dem Ziel aus, ein langfristig tragfähiges Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur zu erreichen. Aus diesem Grunde hat das Interdisziplinäre Zentrum für Nachhaltige Entwicklung (IZNE) an der Universität Göttingen einen Schwerpunkt „Energie und Gesellschaft“ initiiert und das „Bioenergiedorf“ - Projekt ins Leben gerufen. Geplant ist, die Energieversorgung vieler Dörfer auf die Grundlage von klimaneutraler Biomasse umzustellen. Das erste Dorf, in dem diese Idee realisiert wird, ist Jühnde im Landkreis Göttingen (vgl. Schmuck, Eigner-Thiel & Lackschewitz, 2003). Dort wird die in Form von Biomasse gespeicherte Sonnenenergie mit moderner Technologie in Heizwärme und Elektrizität umgewandelt. Diese Art der Energieerzeugung hat keine nachteiligen Folgen für das Klima und auch der gewohnte Lebenskomfort wird davon nicht beeinträchtigt.

Mit diesem Beitrag wollen wir deutlich machen, wie die Umstellung von ganzen Dörfern auf eine zukunftsfähige Energieversorgung bereits heute möglich ist. Am Beispiel Jühnde (konkrete Angaben zum Beispieldorf im Folgenden in kursiver Schrift) wollen wir aufzeigen, wie der Umstellungsprozess konkret ablaufen kann.

 

Biomasse als ökologisch vorteilhafte Energiequelle

Unter Biomasse versteht man Holz, Stroh, Gräser, Getreidepflanzen und zucker- oder ölhaltige Pflanzen sowie Gülle. Diese enthalten gespeicherte Sonnenenergie. Die älteste Art der energetischen Nutzung von Biomasse ist das Verbrennen von Feststoffen wie Holz, Stroh oder Schilf. Eine andere Möglichkeit ergibt sich, wenn Pflanzen oder Gülle durch Mikroorganismen wie Bakterien unter Luftabschluss zersetzt werden. Dabei entsteht Biogas, welches verbrannt und somit ebenfalls zur Energieerzeugung genutzt werden kann (vgl. Karpenstein-Machan, 2005).

Ein großer Vorteil von Biomasse im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energieträgern wie etwa Wind besteht darin, dass Biomasse lagerfähig ist. Holzhackschnitzel oder Strohballen können beispielsweise in Lagerhallen, Gülle oder andere feuchte Biomassen in Silos gelagert werden und stehen somit dann zur Verfügung, wenn sie gebraucht werden.

Biomasse ist in ländlichen Regionen in großen Mengen vorhanden, sie fällt in der Landwirtschaft, in der Forstwirtschaft und auf sonstigen Grünflächen an. Sie ist damit eine regional verfügbare Energiequelle, worin ein weiterer Vorzug von Biomasse besteht.

Mittelfristig werden ca. 30 % der Acker- und Grünlandflächen in Deutschland nicht mehr für den Anbau von Nahrungs- und Futtermitteln benötigt. Diese Fläche ist nutzbar für den Energiepflanzenbau, ohne dass eine Konkurrenzsituation zwischen Nahrungsmittel- und Energiepflanzenproduktion entsteht.

Zusätzliche Potenziale ergeben sich in der Landwirtschaft dadurch, dass bei der Getreideproduktion bisher meist nicht verwertetes Stroh anfällt. Es steht damit ebenfalls potenziell für die energetische Nutzung zur Verfügung. Auch Gülle und Mist aus Viehhaltungsbetrieben (immerhin 190 Millionen t Gülle und Mist pro Jahr in Deutschland) kommen als Energiequelle in Betracht.

Weitere gut verfügbare und energetisch nutzbare Biomasse ist Restholz aus der Forstwirtschaft, das bei der Walddurchforstung anfällt, aber in der Regel wenig genutzt wird.

Auch in Gemeinden gibt es Biomasse in vielfältiger Form. Neben kommunalen Grünabfällen wie Laub, Baum- und Strauchschnitten von Straßen- und Grabenrändern stellen Aufwüchse aus Naturschutzflächen ein weiteres beachtliches Potenzial dar.

In der Gemarkung Jühnde stehen ca. 1300 ha landwirtschaftliche Nutzfläche und 800 ha Wald für den Anbau von Nahrungs- und Futtermitteln, Energiepflanzen und Holz zur Verfügung. Für die Energieerzeugung werden ca. 20 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche und ca. 7 % des jährlichen Holzaufwuchses benötigt. Darüber hinaus stehen ca. 9500 m3 Gülle pro Jahr zur Verfügung.

Viele Argumente sprechen dafür, dass sich der Anbau von Energiepflanzen mit dem Schutz unserer Umwelt vereinbaren lässt, also umweltfreundlich ist:

Anstatt von Monokultur lässt sich beim Anbau von Energiepflanzen eine große Artenvielfalt realisieren, denn das für die Energiegewinnung nutzbare Spektrum an Kulturpflanzen und Wildpflanzen ist weit. Ein einseitiger Anbau von nur einer Kulturpflanze (z.B. Mais) ist weder aus ökologischen noch aus ökonomischen Gründen sinnvoll (vgl. Karpenstein-Machan, 2004). Der Anbau verschiedener Kulturen in einer gesunden Fruchtfolge macht nicht nur den Einsatz von  Pflanzenschutzmitteln weitgehend entbehrlich, sondern vermindert auch das Ernterisiko und erhöht damit die Versorgungssicherheit der Energieanlagen (vgl. Karpenstein-Machan, 2005). Die nach der energetischen Verwertung verbleibenden Reststoffe (Gärreste und Asche) können als Dünger auf denjenigen Flächen ausgebracht werden, auf denen die Pflanzen zuvor gewachsen sind. Damit wird auch der Einsatz von mineralischen Düngemitteln nahezu entbehrlich. Durch die gezielte Düngung mit Reststoffen aus der Energieerzeugung (Gärrest und Aschen) sowie den geringen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln wird außerdem das Trinkwasser vor Verunreinigung geschützt.

 

Das technische Konzept

Die Energiegewinnung wird hauptsächlich in zwei technischen Anlagen vollzogen: In einer (1) Biogasanlage mit angeschlossenem Blockheizkraftwerk (BHKW) einerseits und (2) einem Holzhackschnitzelheizwerk andererseits. Die Heizwärme wird (3) durch ein Nahwärmenetz in den Häusern des Dorfes verteilt.

(1) Die Biogasanlage. Die pflanzlichen Biomassen wie Wintergetreide, Mais oder Sonnenblumen werden geerntet und auf einer Silageplatte gelagert. Die Gülle wird in einem Zwischenlager für die energetische Verwertung bereitgehalten. Die beiden Energieträger werden in einen großen geschlossenen Behälter, den sogenannten „Fermenter“, eingespeist. In dieser Anlage findet ein Gärprozess statt, bei dem Biogas entsteht. Dieses steigt nach oben und wird unter dem Dach der Anlage gesammelt. Das Biogas wird dann in ein mit Biogas betriebenes Blockheizkraftwerk (BHKW) eingeleitet und treibt dort einen Verbrennungsmotor an, der über einen angeschlossenen Generator Strom erzeugt und auch Wärme abgibt. Der erzeugte Strom wird in das vorhandene Stromnetz eingespeist. Die bei der Stromerzeugung im BHKW anfallende Wärme wird zum Großteil über ein Nahwärmenetz für die Wärmeversorgung der Häuser des Dorfes verwendet. Durch die Kopplung der Gewinnung von Strom und Wärme werden etwa 80 % der ursprünglich in der Biomasse gespeicherten Sonnenenergie verwertbar.

Das BHKW in Jühnde hat eine elektrische Leistung vom 700 kW. Bei voller Auslastung des BHKW können damit im Jahr bis 5 Mio. kWh Strom produziert werden, die doppelte Menge dessen, was in Jühnde an Strom benötigt wird. Auf der Grundlage des novellierten "Erneuerbare-Energien-Gesetz" (EEG, August 2004) wird der ins vorhandene Stromnetz eingespeiste "Biomassestrom" inklusive aller Boni mit ca. 0,17 Euro pro kWh vergütet. Die Haushalte können weiterhin den Strom von ihrem bisherigen Stromversorger beziehen. Eine direkte Eigenverwendung des im Dorf produzierten Stromes ist zunächst nicht vorgesehen.

(2) Das Holzhackschnitzelheizwerk. Für den zusätzlichen Wärmebedarf, z.B. die Heizwärme im Winter, benötigt man eine weitere Bioenergieanlage. Es bietet sich an, in einem Biomasse-Heizwerk Holzhackschnitzel zu verbrennen und die Wärmeenergie in Form von heißem Wasser ebenfalls in das Nahwärmenetz einzuspeisen. An den wenigen sehr kalten Tagen kann ein zusätzlicher Spitzenlastkessel auf Ölbasis zum Einsatz kommen.

In Jühnde wird ein Biomasse-Heizwerk auf Holzbasis mit einer thermischen Leistung von 550 kW betrieben. Ein Spitzenlastkessel mit einer Leistung von 1500 kW soll die Versorgungssicherheit abrunden und evtl. an sehr kalten Wintertagen zum Einsatz kommen.

 (3) Das Nahwärmenetz. Mit der Wärme aus den jeweiligen Wärmeerzeugern (Blockheizkraftwerk, Biomasse-Heizwerk, Spitzenlastkessel) wird Wasser aufgeheizt. Dieses wird über einen gemeinsamen Verteiler mit Hilfe von Netzpumpen in einem im Boden verlegten Nahwärmenetz zu den Häusern transportiert und über eine Hausanschlussstation mit dem internen Heizsystem und Warmwasserkreislauf des Hauses verbunden.

Die Wärmekunden haben durch den Anschluss an das Nahwärmenetz erhebliche Vorteile: Da die alten Heizkessel und Brennstofflager wie Öltanks nicht mehr benötigt werden, wird zumindest ein Raum frei. Das Bestellen von Heizöl bzw. Flüssiggas sowie Wartungsarbeiten am Kessel entfallen, die Wärmeversorgung wird dadurch insgesamt komfortabler. Im Rahmen des Anschlusses an das Nahwärmenetz wird die Funktionsfähigkeit der Heizungsanlage überprüft und es werden Optimierungs- und somit Kostensenkungspotenziale aufgezeigt.

In Jühnde sind 130 Haushalte (ca.70% aller Jühnder Haushalte) an das Nahwärmenetz angeschlossen. Das heiße Wasser kann direkt für Heizzwecke und über einen Wärmetauscher für die Erhitzung von Wasser (Bad, Küche, etc.) genutzt werden. Die Länge des Nahwärmenetzes beträgt 5,5 km.

 
Die Akteure

Die wichtigsten Beteiligten an einem gemeinschaftlichen Projekt zur Biomassenutzung sind die Einwohner vor Ort. Ohne ihr Engagement und ohne ihre aktive Beteiligung lassen sich solche Vorhaben kaum umsetzen. Bewährt haben sich hier Arbeitskreise, in denen während der Projektplanungsphase die sehr unterschiedlichen Aspekte solcher Projekte bearbeitet werden.

Einige Stationen des ersten Jühnder Planungsjahres (Herbst 2001 bis Winter 2002/2003) zeigen die Vielschichtigkeit und Komplexität des Projektes: In Jühnde wurden acht themenspezifische Arbeitsgruppen gegründet: „Betreibergesellschaft", „Biogasanlage", „Heizwerk", „Nahwärmenetz", „Haustechnik", „Biomasse Holz", „Biomasse Energiepflanzen" und „Öffentlichkeit". Diese Gruppen trafen sich mehrfach im Monat. Die gewählten Sprecher dieser Arbeitsgruppen tauschten sich wiederum einmal im Monat auf einem Treffen miteinander aus. Damit war die strukturelle Voraussetzung geschaffen, dass dorfintern große Planungsspielräume entstanden und dennoch ein enger Kontakt zur Dorfbevölkerung aufrechterhalten werden konnte. Auftauchende Probleme konnten auf dieser Basis in enger Abstimmung effizient gelöst werden.

Um Frontenbildungen im Dorf zu vermeiden und stattdessen mehrheitsfähige und konfliktarme Lösungen zu finden, wurde auf einer Dorfversammlung per Abstimmung ein Gremium, die sogenannte „Zentrale Planungswerkstatt", für Entscheidungen bezüglich des Bioenergiedorfs legitimiert. Die Zentrale Planungswerkstatt setzte sich aus den Sprechern der acht Arbeitsgruppen, dem Bürgermeister von Jühnde, zwei Vertretern des Gemeinderats, einem Vertreter der Samtgemeinde, Vertretern der Jühnder Vereine sowie aus Mitarbeitern der universitären  Projektgruppe zusammen.

Damit sich die Menschen der Gemeinde ein anschauliches Bild davon machen können, wie die neue Technik funktioniert und welche Erfahrungen an anderen Orten damit gemacht wurden, empfiehlt es sich, Besichtigungsfahrten zu vergleichbaren Anlagen zu unternehmen. Bei solchen Besuchen kann man ein unmittelbares Bild von der Technik, angefangen vom optischen Eindruck über Gerüche und Geräusche, bis hin zu den Erfahrungen anderer Leute mit der Versorgungssicherheit der Anlagen gewinnen. Solche direkten Eindrücke ermöglichen ein eigenes Urteil über die Technik. Das durch das eigene Begreifen entstehende Vertrauen  reduziert das Unbehagen, nur  Expertenurteilen ausgeliefert zu sein.

Ein Projekt zur gemeinschaftlichen Nutzung von erneuerbaren Energien bietet die Möglichkeit, als Bürger die eigenen persönlichen Belange in der Gemeinde mitgestalten zu können durch Einbringen eigener Ideen und Mitwirkung bei zentralen Entscheidungen. Hierdurch wächst die Verbundenheit mit dem Projekt, den Projektpartnern sowie dem ganzen Dorf (vgl. Eigner-Thiel, 2005; Eigner-Thiel, Schmuck & Lackschewitz, 2004; zu weiteren sozialwissenschaftlichen Aspekten von Nachhaltigkeitsprojekten s. Schmuck & Schultz, 2002).

Es gibt Betreibergesellschaftsformen, die von der Gemeinschaft getragen werden, zum Beispiel die Genossenschaft. Diese Form hat verschiedene Vorteile. Zum Beispiel kann die finanzielle Last der anfänglichen Investitionen auf viele Schultern verteilt werden, wodurch weniger Kredite aufzunehmen und damit weniger Zinslast zu tragen ist. Zum anderen kann man hier die Produzenten der Energie und die Konsumenten der Energie in einer Gesellschaft zusammenführen, wodurch ein gegenseitig abgestimmtes und verlässliches Wirtschaften möglich wird, da alle Beteiligten einander kennen und alle wesentlichen Entscheidungen gemeinschaftlich treffen, z.B. die Höhe der Wärmepreise.

 

Finanzielle und ökonomische Aspekte

Perspektive der Haushalte. Die Stromversorgung der Haushalte bleibt von den technischen Installationen unberührt. Bei der Kalkulation der Wärmekosten (für Heizung und Warmwasser) sind die laufenden Kosten für den Wärmebezug, eine einmalige Anschlussgebühr sowie die Kosten für die hausinternen Installationen und Umstellungsarbeiten zu berücksichtigen.

Die Festlegung der Wärmepreise (jährliche Grundgebühr, verbrauchsabhängige Kosten) orientierte sich in Jühnde an den zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses aktuellen Vergleichskosten für eine Heizölheizung. Es wurde hierbei sichergestellt, dass die Haushalte nach dem Anschluss an das Nahwärmenetz nicht mehr bezahlen müssen als bei einer Heizölheizung. Infolge der stark gestiegenen Heizölpreise sind die laufenden Heizkosten im Schnitt für ein Einfamilienhaus mittlerweile etwa 600 Euro günstiger verglichen mit einer Fortführung der traditionellen Versorgung mit Heizöl. Die Anschlussgebühr beträgt in Jühnde 1.000 Euro, die Umstellungsarbeiten verursachen Kosten zwischen 1.500 und 2.500 Euro.

 

Perspektive der Landwirte. Die energetische Umstellung auf Biomasse ermöglicht den Landwirten, ein weiteres wirtschaftliches Standbein aufzubauen. Neben der Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln kann sich die Bereitstellung von Energiepflanzen zu einer von Schwankungen auf den Weltagrarmärkten unabhängigen Einkommensquelle entwickeln.

In Absprache mit den Jühnder Landwirten wurden Lieferpreise für die Energiepflanzen in der Höhe vereinbart, dass ein mindestens gleich hoher Deckungsbeitrag pro Hektar wie durch den Anbau von Winterweizen erwirtschaftet werden kann. Durch die langfristigen Lieferverträge mit der Betreibergesellschaft findet hierdurch eine beachtliche Stabilisierung der landwirtschaftlichen Einkommen statt.

 

Perspektive der Forstwirtschaft. In der Forstwirtschaft besteht häufig das Problem, dass Rest- und Durchforstungsholz nicht kostendeckend auf dem Markt abgesetzt werden kann. Dies hat zur Folge, dass notwendige Durchforstungsmaßnahmen oft nicht durchgeführt werden können und Resthölzer im Wald verbleiben. In der Landschaftspflege anfallendes Holz wird in der Regel direkt vor Ort gehäckselt und an die Böschung von Straßen etc. geblasen. Auf Grund fehlender Absatzmöglichkeiten erfolgt selten eine Bergung dieser Energieträger. Durch die zusätzliche Möglichkeit des zumindest kostendeckenden Verkaufs von Holzhackschnitzeln an Holzheizwerke lohnt sich in vielen Fällen die Durchforstung von Wäldern sowie die Bergung von Rest- und Landschaftspflegeholz wieder.

Die Preise für die in Jühnde benötigten Holzhackschnitzel orientieren sich an den vorhandenen Marktpreisen für frisches Waldholz sowie für Landschaftspflegeholz.

 

Perspektive der Betreibergesellschaft der Bioenergieanlagen. Die Investitionskosten für die Bioenergieanlage (Kauf eines Grundstückes, Bau der Biogasanlage, des Heizwerkes sowie des Nahwärmenetzes) belaufen sich auf mehrere Millionen Euro, welche über (1) Eigenkapital, (2) Fremdkapital und (3) evtl. Investitionszuschüsse aufzubringen sind.

(1) Eigenkapital: Das Eigenkapital der Betreibergesellschaft setzt sich aus finanziellen Einlagen der an der Gesellschaft beteiligten Personen zusammen. Diese Beteiligung berechtigt zur Mitsprache in der Gesellschaft (z. B. bei der Festlegung der Wärmepreise) und zur Beteiligung am Gewinn. An der Gesellschaft sollten sich idealerweise die Wärmekunden sowie die Land- und Forstwirte beteiligen. Hierdurch kann gewährleistet werden, dass die Kosten für die bezogene Wärme niedrig sowie die Preise für die gelieferte Biomasse angemessen bleiben. Die Finanzierung der Bioenergieanlage durch ortsfremde Investoren, die häufig ausschließlich an einer hohen Eigenkapitalrendite interessiert sind, läuft strukturell den Interessen der Einwohner von Bioenergiedörfern zuwider, da sie eine hohe Eigenkapitalrendite durch hohe Wärmepreise bezahlen müssen, und ist damit nur begrenzt sinnvoll.

 

In Jühnde wurde für die Betreibergesellschaft auf der Basis einer Befragung im Ort die Rechtsform einer Genossenschaft gewählt. In der gemeinsam erarbeiteten Satzung ist u.a. festgelegt, dass sich alle Wärmekunden mit einer Einlage von mindestens 1.500 Euro an der Genossenschaft beteiligen. Ferner ist es begrenzt möglich, dass auch Nicht-Wärmekunden Mitglied der Genossenschaft werden können.

 

(2) Fremdkapital: Die Finanzierung der Investitionen kann häufig nicht ausschließlich durch Eigenmittel erfolgen. Durch die Aufnahme von Bankdarlehen und ggf. zinsvergünstigte öffentliche Kredite kann die Gesamtfinanzierung der Investitionen gewährleistet werden.

 

(3) Investitionszuschüsse. Einige Bundesländer gewähren Zuschüsse für Investitionen in erneuerbare Energien. Für Modell- und Demonstrationsprojekte ist es evtl. möglich, weitere staatliche Förderungen zu bekommen.

 

Ein einmaliger Investitionszuschuss für das Modellprojekt in Jühnde war notwendig, weil die für das Jahr 2002 kalkulierten laufenden Umsatzerlöse für den Verkauf von Strom und Wärme nicht ausreichten, die laufenden Kosten einschließlich der Abschreibungen und einer Verzinsung des eingesetzten Kapitals zu decken. Die vor allem durch die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe /das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft gewährte einmalige Förderung verteilt auf die Jahre der Nutzungsdauer der bezuschussten Anlagenteile deckt in Jühnde die verbleibende finanzielle Lücke.

 

Arbeitsplatzeffekte und Belebung regionaler Wirtschaftskreisläufe. Die Wende zu einer energetischen Versorgung mit Biomasse bietet auch die Chance zur Dezentralisierung der Energieversorgungsstrukturen und damit zur Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe. Je nach Größe der Bioenergieanlagen werden ein bis zwei Arbeitsplätze für den laufenden Betrieb neu geschaffen. Die Energieträger werden von den Land- und Forstwirten vor Ort eingekauft, was aus deren Sicht eine Direktvermarktung ihrer Produkte darstellt und zur Sicherung ihrer Betriebe beiträgt.

Weitere dauerhafte regionale Effekte ergeben sich bei Bau- und Handwerksfirmen, Banken, Versicherungen, Steuerberatern sowie Wartungsfirmen. Bezogen auf die gesamten jährlichen Aufwendungen der Betreibergesellschaft kann man sagen, dass von diesen weit über die Hälfte wiederum zu Umsätzen in den jeweiligen Orten und der näheren Umgebung führen. Hierdurch werden weitere Wertschöpfungsprozesse in der Region angestoßen.

Anders ausgedrückt führen die Ausgaben der Haushalte für Strom und Wärme nicht mehr zu Einnahmen z.B. bei den OPEC-Ländern und den großen Mineralölfirmen, sondern zu Einnahmen bei den ansässigen Land- und Forstwirten sowie regionalen Dienstleistungsbetrieben und zu Löhnen bei den in der Anlage angestellten Personen.

Besonders positiv ist, dass hier, aufbauend auf den Potenzialen und Kapazitäten der Menschen vor Ort, eine eigenständige, selbsttragende und dauerhafte Regionalentwicklung stattfindet. Andere Maßnahmen mit gleichem Ziel, etwa die Erschließung von Gewerbegebieten, weisen oft keinen langfristigen Erfolg auf, wenn z.B. mit öffentlichen Unterstützungen neu angesiedelte aber lokal nicht verwurzelte Unternehmen in andere Gebiete mit günstigeren Förderbedingungen abwandern.

Durch Bioenergiedörfer wird entsprechend nicht nur die deutsche Außenhandelsbilanz verbessert, sondern es werden auch Einkommen auf dem Land geschaffen und die dortigen Lebensperspektiven verbessert. Hierdurch wird der Landflucht und der Entwicklung zu reinen Schlafdörfern entgegen gewirkt.

 

Literatur

Eigner-Thiel, S. (2005). Kollektives Engagement für die Nutzung erneuerbarer Energieträger – Motive, Mobilisierung und Auswirkungen am Beispiel des Aktionsforschungsprojekts „Das Bioenergiedorf“. Studien zur Umweltpsychologie, Band 1. Hamburg: Kovac.

Eigner-Thiel, S., Schmuck, P. & Lackschewitz, H. (2004). Kommunales Engagement für die energetische Nutzung von Biomasse: Auswirkungen auf Umweltverhalten, soziale Unterstützung, Selbstwirksamkeitserwartungund seelische Gesundheit. Umweltpsychologie, 8 (1), 146-167.

Karpenstein-Machan, M. (2005): Energiepflanzenbau für Biogasanlagenbetreiber, DLG-Verlags-GmbH, Frankfurt, ISBN: ISBN 3-7690-0651-8.

Karpenstein-Machan, M. (2004): Neue Perspektiven für den Naturschutz durch einen ökologisch ausgerichteten Energiepflanzenbau, Zeitschrift: Naturschutz und Landschaftsplanung, Heft 2, Jg. 36.

Schmuck, P., Eigner-Thiel, S. & Lackschewitz, H. (2003). Das „Bioenergiedorf“-Projekt: Interdisziplinäre und transdisziplinäre Erfahrungen von UmweltpsychologInnen beim Initiieren eines Projekts zur Nutzung erneuerbarer Energien im ländlichen Raum. Umweltpsychologie, 7 (2), 134-147.

Schmuck, P. & Schultz, W. (2002). Psychology of Sustainable Development. Boston: Kluwer Academic Publishers.

Watson, R. T. (Ed.) (2001). Climate Change 2001: Synthesis Report. Third Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge: Cambridge University Press.



[1] Wir danken der Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe und dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft für die Förderung der wissenschaftlichen Begleitung des Bioenergiedorf-Projekts.