Das Jahr 19 nach Rio

 

Heute, am 22.12.2011 blühen im Garten Gänseblumen und auch eine Hyazinthe – Freude darüber will nicht recht aufkommen. Wir liegen heuer bei 31.5 Gigatonnen CO2 pro Jahr und 0.8 Grad Erwärmung. Wie war das mit dem Apfelbäumchen?

 

Der Rückblick auf das Jahr ruft viele schöne Erinnerungen hervor, an  aufregende Entwicklungen, an denen Kolleginnen, Kollegen der Teams in Göttingen und Ludwigsfelde und ich teilhatten:

 

In den Bioenergieregionen Goslar, Wolfenbüttel und Hannover haben wir viele Planungswerkstätten mit einigen hoffnungsvollen Resultaten abgeschlossen. Ein Bioenergiedorfwettbewerb ist in Gang gekommen und ein Dorf hat sich auf den Weg zu einer 100% Erneuerbare Energie Gemeinde gemacht, am liebsten mit zurückgekauftem Stromnetz. Was mir dabei immer deutlicher wird ist, dass die Bioenergie, auch wenn sie ökologisch vertretbar gestaltet ist, nur einen Teil zur Energielösung beisteuern kann, weil unsere Welt nicht genügend Fläche hat, um Energiepflanzen für alle anzubauen. Die Kombination mit Windkraft, Solarenergie und zurückgekauften Stromnetzen rückt so in den Fokus bei den Projekten, die ich begleite.

 

In Kerzendorf bei Ludwigsfelde haben sich Menschen des Dorfes vorgenommen,  Bioenergie im Ort zu nutzen, allerdings gibt es noch Hindernisse zu überwinden. Einige Dorfbewohner haben Pacht-Vorverträge mit Fremdinvestoren für Windräder unterzeichnet, was einen Keil ins Dorf treibt, weil die finanziell nicht beteiligten und ungefragten Personen des Ortes keine Windräder am Ortsrand haben wollen.

 

In einem anderen Projekt in der Schorfheide, in dem ich aktiv war, haben ebenfalls einige Bürger kommunale Bioenergie-Lösungen entwickelt. Hier ist noch die Hürde zu überwinden, dass die Landbesitzer dort keine Einheimischen sind und es schwer ist, eine Vertrauensbasis mit diesen Menschen zu finden.

 

In einem Projekt bei Bremen sind 30 Häuser mit Solarstrom-Anlagen und Elektroautos ausgestattet worden, um zu prüfen, ob man Autos direkt mit Solarstrom betreiben kann. Ein Kollege und ich führen dazu Nutzer-Befragungen durch. Das Projekt ist von einem grossen Stromversorgungsunternehmen initiiert worden und wir haben uns die Entscheidung, da mitzumachen, nicht leicht gemacht. Wir wollen dezentrale Lösungen unterstützen, und gedenken, Erkenntnisse aus diesem Projekt genau dafür nutzbar zu machen in den vielen kommunalen Projekten, mit denen wir Kontakt haben.

 

In Schönau, bei den Stromrebellen, sind meine Frau und ich nach einem Besuch dort und dem Kennenlernen der tollen Familie Sladek Teilhaber der Genossenschaft geworden (nachdem wir bereits viele Jahre von ihnen Strom beziehen). In unserem Haus am Kyffhäuser haben wir im Sommer eine Solarstromanlage bauen lassen, die dreimal mehr Strom erzeugt als wir verbrauchen. Solarwärme nutzen wir schon. Ein schönes Gefühl. Bei meinem Biodiesel Auto ist die Einspritzpumpe kaputt gegangen und es gibt aufgrund des unstetigen Kurses der Regierung auch kaum mehr diesen Kraftstoff zu kaufen. Vielleicht kommt ein Elektro-Fahrzeug mit Sonnenstrom in Frage?

 

Im Sommer haben wir im Auftrag eines Heizungsbauers, der Bioenergiedörfern (Holz, Bio-Reststoffe, Pflanzen) die notwendige Technik anbieten möchte, 20 bereits nach unserem Modell umgebaute Dörfer (von inzwischen 50 fertigen und 200 geplanten!) besucht und analysiert. Die grosse Überraschung für uns: Die Menschen sind nicht nur froh über die neue Art der Energiever-sorgung, sondern die Wärmekunden, die nun anstatt fossiler Rohstoffe mit vor Ort erzeugter Bioenergie heizen, sparen im Schnitt 50% der Heizkosten für eine Erdölheizung ein!

 

Unser Vorgehen beim Schaffen nachhaltiger Alternativen habe ich jetzt einmal theoretisch abgebildet und das Resultat den „Göttinger Ansatz der Nachhaltigkeitswissenschaft“ genannt. Es bestand Gelegenheit, diesen Ansatz auf verschiedenen internationalen Konferenzen und Treffen vorzustellen: In Freiburg, Estland, China und Korea habe ich versucht, jungen Menschen Mut zu machen, am Umbau der Welt aktiv mitzuwirken. Einige Publikationen sind in dem Zusammenhang entstanden. Auch haben wir im Göttinger Team unser Nachhaltigkeitsverständnis expliziert (u.A. mit Ablehnung von Gentechnik, s. http://www.izne.uni-goettingen.de/?page_id=744).

 

Nach einem Vortrag im Innovationsclub Berlin, bei dem ich richtig gut drauf war, sagte mir ein Journalist, an mir sei ein Komödiant verloren gegangen. Schön zu wissen, falls sich in der Akademia, deren Affenzirkus ich ja nur sehr begrenzt mitmache, mal kein Lebensunterhalt mehr verdienen lässt…

 

Im Onsernone-Tal in der Schweiz sowie im Kreise der Göttinger KollegInnen des Zentrums für nachhaltige Entwicklung haben wir an Konzepten getüftelt, wie wir zu einem stärkeren Nachhaltigkeitsprofil an der Uni Göttingen beisteuern können. Da seit 2010 an unserer Universität eine Präsidentin tätig ist, die diesen Anliegen aufgeschlossen gegenübersteht, gibt es nun eine Chance, den Studiengang Nachhaltigkeitswissenschaft (dessen Konzept im Berliner Kollegenkreis 2007 entstanden war) an der Göttinger Uni zu starten. In Eberswalde wird der Studiengang jetzt ebenfalls initiiert.

 

Dann habe ich wieder eine Gastvorlesung an der Uni Innsbruck zur Positiven Psychologie gehalten und eine neue Runde des Ideenwettbewerbs zu Beiträgen der Psychologie für Nachhaltige Entwicklung ausgelobt. Im Frühjahr werden die Ideen der Preisträger wieder auf meiner Webseite zu finden sein.

 

Im Rahmen von Diplomarbeiten, die ich betreut habe, wurden spannende Themen untersucht, unter anderem zur Motivation von Öko-Landwirten, zum Engagement für nachhaltige Entwicklung  im Rahmen von Null-Emissionsprojekten, zum  integralen Ansatz nach Ken Wilber, zur Akzeptanz in der ländlichen Bevölkerung bezüglich der energetischen Nutzung von Biomasse in Deutschland und Österreich.

 

Einem Vorhaben in einem Erholungsort im Harz haben wir unsere Unterstützung versagt: Dort plant man, mit Energie aus Holz nicht nur die Häuser zu heizen, sondern auch Berghänge zu kühlen, damit im Winter der Schnee oder Kunstschnee länger liegenbleibt. Damit die Wintersportler zurückkehren. An dem Beispiel wird deutlich, wie wichtig eine globale Perspektive und eine umfassende Nachhaltigkeitsbetrachtung sind: Natürlich kann man Berghänge kühlen – technisch kein Problem – aber vorher sollte man nach meiner Auffassung bitte schön zwei Dinge tun: Prüfen, ob man den Klimawandel stoppen und vielleicht sogar umkehren kann (mit Biokohle scheint das theoretisch möglich zu sein) – dann braucht man die Kühlung nicht. Und falls das nicht geht, prüfen, ob die weltweit verfügbaren nachwachsenden Ressourcen bei fairer Verteilung ausreichen, um im Harz Berghänge zu kühlen oder in Dubai in Riesenzelten Skizentren zu betreiben.

 

Eine Kollegin hat mir nach einem Vortrag mit solchen Gedanken vorgeworfen, derartige Betrachtungen seien zu moralisch. Ich hielt ihr entgegen, dass wir ohne Reflexionen dieser Art im Abenteuer Nachhaltigkeit nicht vorankommen werden.

 

Vielleicht meinte sie ja nur, dass eine Person, die so etwas ausspricht, bereits perfekt nach den Leitlinien einer nachhaltigen Welt leben müßte. Dann hätte sie recht. Also: Dran bleiben, das Leben, das wir wollen, soweit es irgend geht, selbst leben, damit das, was in einem Leben erreichbar ist, auch erreicht wird. Den Apfelbaum einfach pflanzen.

 

Vielleicht auch gleich ein paar oder auch eine Million. Der neunjährige Felix aus Berlin hatte sich das vorgenommen und alle haben gelacht. Er liegt jetzt schon bei ein paar hunderttausend Bäumen… (in Göttingen hatten wir eine Vortragsreihe in der Uni-Kirche organisiert mit solchen Pionieren, s. http://www.izne.uni-goettingen.de/?page_id=252)

 

 

Berlin, 22.12.2011    Peter                            

 

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