Weihnachtsgruß 2006: Baustellen der Zukunft

 

Letzte Nacht habe ich Al Gores neues Buch gelesen: „Eine unbequeme Wahrheit“. Ein tolles Buch, das auf 300 Seiten in brillanter Weise beschreibt, was wir unsrer Erde und uns selbst zur Zeit antun, aber nur 20 Seiten den Ideen und Lösungen für eine gute Zukunft widmet.

 

Diesen 20 Seiten möchte ich Ideen, Projekte und Erfolgsgeschichten hinzufügen, die in meinem Göttinger und Berliner Umfeld im letzten Jahr gewachsen sind. Mit dieser Zusammenschau möchte ich mich bedanken bei Euch und Ihnen allen für die Inspiration, die Diskussionen, die Arbeit , die Unterstützung bei den vielen Baustellen der Zukunft, die wir gemeinsam im vergangenen Jahr vorangebracht haben.

 

Im Bioenergiedorf Jühnde geht das erste normale Betriebsjahr zu Ende. Die Häuser des Dorfes werden sicher geheizt, die Stromproduktion ist mit 4 Millionen Kilowattstunden höher als erwartet. Man ist glücklich im Dorf, zu den Pionieren einer umweltfreundlichen Energieversorgung zu gehören, zumal die Heizkosten der Haushalte auch deutlich unter den Vergleichskosten von Fossil-Heizungen liegen.

 

Neun weitere Dörfer im Landkreis Göttingen folgen dem Beispiel Jühndes. Dank einer Anschubfinanzierung seitens des Landkreises hatten wir vom Göttinger Team die Möglichkeit, den Gedanken weiterzutragen. Das Interesse war, wie schon 2001, als Jühnde startete, weit größer als wir gehofft hatten. Über 30 Dörfer hatten sich für das Projekt beworben, in neun davon begleiten wir zur Zeit die Planungsphase.

 

Auch die Stadtverwaltung Göttingen ist an Bioenergie interessiert: Sie hat uns beauftragt, eine Expertise für potentielle Bioenergieprojekte im Stadtgebiet zu erstellen. Wir fanden, dass es viele Anfänge, Ideen und Potentiale hier gibt, die allerdings der Umsetzung noch harren, weil es (noch) keine Koordination für Projekte gibt, die viele unterschiedliche Interessengruppen betreffen – Wirtschaft, Wissenschaft, Stadtpolitik, Bauern. Viele der Beteiligten, auch wir selbst, wussten vorher gar nicht, wer hier an welchen tollen Plänen arbeitet. Wenn man das zusammenbringt und strategisch koordiniert, könnte die Stadt Vorreiter in Sachen Bioenergie werden!

 

Eine 100 Bioenergiedörfer-Initiative, die wir der Bundesregierung anboten, stieß auf positives Echo sowohl beim Landwirtschafts- als auch beim Umweltminister. Es bleibt abzuwarten, ob sie in der Strategie zur Erweiterung der Erneuerbaren Energien, an der man zur Zeit im Parlament werkelt, entsprechend berücksichtigt wird.

 

Das weltweite Interesse an der Psychologie der Nachhaltigkeit und an Bioenergie als zukunftsfähige Art der Energieversorgung hält an: Im Frühjahr habe ich auf Einladung durch eine indonesische Uni dort auf Java vier Wochen Vorlesungen und Seminare zu dem Thema gehalten sowie Workshops organisiert und moderiert. Im Sommer habe ich in Göttingen mit Menschen aus Taiwan eine Planungswerkstatt zur Bioenergienutzung in ihrer Heimat moderiert. Im Dezember habe ich in Taipeh einen Vortrag über unsere Bioenergieprojekte in Deutschland gehalten, der intensiv diskutiert wurde.

 

Im September haben meine Berliner und Potsdamer Kollegen und ich das Institut für Nachhaltigkeit und Umweltpolitik (INU) an der University of Management and Communication (UMC) Potsdam gegründet. Wir wollen Beratung, Forschung und Ausbildung auf dem Gebiet der Nachhaltigen Entwicklung machen.

 

Im Herbst habe ich mit Frau Breitzke von der TU Berlin eine Studie zum Ausbildungsbedarf für „Nachhaltigkeitsmanagement“, ein neues Berufsfeld, durchgeführt. Wir haben die 20 deutschen Großunternehmen, welche in der Dachorganistion zur Förderung der Nachhaltigkeit in der Wirtschaft, Econsense; sind, angesprochen und 10 leitende Nachhaltigkeitsverantwortliche aus Unternehmen wie Allianz oder Siemens über ihr Nachhaltigkeitsverständnis und den Ausbildungsbedarf befragt.

 

Im Ergebnis dieser Studie haben wir, die Gruppe der künftigen INU Dozenten, ein Curriculum erstellt, in dem Inhalte eines breit angelegten MSc Masterstudiengangs „Nachhaltigkeitsmanagement“ skizziert sind. Deren Spannweite reicht von philosophischen und psychologischen Grundlagen der Nachhaltigkeit über Betriebswirtschaft, Ökologie bis hin zur Frage, wie man konkrete Projekte in die Praxis umsetzt. Im nächsten Jahr soll die Ausbildung starten.

 

Auch in diesem Jahr sind eine Reihe von Diplomarbeiten von meinen TU Studierenden fertig geworden: Die Themen reichen von spirituellen Fragen (Umgang mit der eigenen Endlichkeit, Yoga, Craniosakrale Therapie) über internationale Vergleiche in der Sensibilität gegenüber Umweltproblemen hin zu Analysen das Nachhaltigkeits-relevanten Alltagsverhaltens verschiedener Personengruppen in Deutschland und Italien.

 

Apropos Alltagsverhalten: Ich finde immer mehr Spass am Radfahren und radle jetzt selbst im Winter manchmal die 20 km von Karlshorst an die TU, immer an der Spree bzw. dem Landwehrkanal lang. Erstaunlich, wie viel Tiere in Berlin leben, selbst Reiher und Schildkröten habe ich im Tiergarten sehen können. Und wenns mal das Auto sein muss, seit Sommer haben wir ein Fahrzeug, das mit nachwachsenden und klimafreundlichen Rohstoffen betrieben wird.

 

Wissenschaftliche und familienrechtliche Gutachten, Publikationen und Vorträge/Beratungstätigkeiten, Seminare und Prüfungen haben Zeit gekostet und meist Spass gemacht.

 

Es gibt auch Dinge, die nicht recht vorangeschritten sind: Für ein Handbuch über „Psychology of Sustainable Development“ habe ich zwar als Autoren die besten Experten auf dem Gebiet weltweit gewinnen können, aber bislang keinen Verlag. Oxford University Press, Elsevier und Hogrefe & Huber meinen, man könne sich keine ausreichend breite Leserschaft für dieses Thema vorstellen. Vielleicht haben sie ja recht? Sicher, in einer Kultur der Spezialisierung, in der wir leben, haben interdisziplinäre Zugänge zu großen Themen keine Konjunktur. Doch bin ich überzeugt, dass wir auch hier weiter kommen werden.

 

Und ein Buch über den Sinn des Lebens, das ich mit dem Philosophen Herrn Orth für die Reihe „Psychologie und Philosophie im Dialog“ schreiben soll, kommt nicht aus dem Startloch. Aber so bleiben Aufgaben für die nächsten Jahre.

 

Ich freue mich, in ein Netz kreativer und engagierter Leute eingebunden zu sein und freue mich unbändig auf das neue Jahr und die neuen gemeinsamen Erlebnisse beim Abenteuer Nachhaltigkeit.

 

Frohe Weihnachtstage und einen guten Rutsch ins Jahr 2007

 

Peter Schmuck